von Prof. Dr. Kerstin Merkel & Stefan Bockelmann
Die Vorgeschichte
Ein aufmerksames Vereinsmitglied hatte auf der Internet-Versteigerungsplattform "Ebay" ein Ex Voto (= Votivtafel) mit Bezug zu Nassenfels entdeckt, man muss von einem wahren Glücksfund sprechen. Die Votivtafel ist von 1812 und stammt aus der Kahlhofkapelle bei Neuburg a.d. Donau, OT Feldkirchen. Verkauft wurde sie auf EBAY durch ANTIQUITÄTEN - Restaurierung A. Greinwald, in Schliersee.
Drama an der Aumühle
Das Gemälde zeigt die dramatische Szene eines schweren Unfalls des damaligen Aumüllersohnes Anton Hollinger. Dank seines Gebetes zur Muttergottes sei er vor schweren Folgen verschont geblieben und stiftete das kleine Gemälde als Dank an die Kahlhof-Kapelle „Maria im Gnadenfeld“ bei Neuburg a.d. Donau.
Das nur 44 x 32 cm kleine Bild schildert im Hintergrund den Unfall. Der junge Anton Hollinger ist beim Mähen des Randstreifens der Schutter unglücklich gestürzt, als er den Fluss auf einer „Stange“ überqueren wollte. Dabei hat er sich an der Sense „nit ganz“ den Fuß abgeschnitten, das Blut spritzt wie eine Fontaine aus der Wunde. Die Stange und die Sense sind deutlich zu erkennen, und der junge Mann findet trotz der Schmerzen noch die Kraft zu einem Gebet.
Die Schutter fließt von der Aumühle im Hintergrund in einer langen Kurve hin zu dem Verletzten – ein schönes Bildzeugnis aus einer Zeit, als die Schutter noch nicht begradigt und in ein hohes Flussbett gezwungen war. An einem der Gebäude der Aumühle ist deutlich das Mühlrad zu erkennen. Weiter recht im Hintergrund sieht man die Nassenfelser Burg mit Kastnerhaus und dem charakteristischen Staffelgiebel des Turms sowie einige Häuser, die stellvertretend für den Ort Nassenfels stehen.
Der Jungbauer Anton Hollinger - standesgemäß elegant
Links im Bild kniet der junge Aumüller an einem Betpult, genesen und voller Dankbarkeit für seine Heilung. Er ist ausgesprochen elegant und reich gekleidet, so dass sich ein Blick ins Detail lohnt: Die langen dunklen Haare sind zurückgekämmt und wohl zu einem Zopf gebunden. Den breitkrempigen schwarzen Filzhut mit einem langen blauen Band hat er im Gebet respektvoll abgesetzt und unter den Arm geklemmt. Eine rote Weste mit silbernen Knöpfen schaut unter seinem langen Gehrock hervor. Der Gehrock bzw. Mantel ist blau mit schwarzen Knöpfen und Paspeln. Er verdeckt fast die schwarzen bestickten Kniebundhosen, lässt aber die feinen blauen Kniestrümpfe frei, zu denen Anton Hollinger elegante Schuhe mit silbernen Schnallen trägt. Nicht fehlen darf ein langer Rosenkranz, den er vor dem Betpult baumeln lässt.
Die Kleidung zeigt, dass man in Nassenfels von der aktuellen Mode informiert war, besonders der hohe Kragen des Mantels orientiert sich an dem Vorbild aus Frankreich.
Die standesgemäße Kleidung zeigt dem Betrachter, dass der Sohn des Aumüllers sich seiner Bedeutung durchaus bewusst war. Er stammte aus einem soliden und alten Anwesen im Schuttertal und war als „Junggesell“ sicher eine begehrte Partie. Die aufwändige und teure Kleidung ist keineswegs seiner Eitelkeit geschuldet, sondern man musste zu dieser Zeit auch zeigen, welchem Stand man angehört, was man hat und woher man kommt. Allerdings trug man die teure Festtagskleidung nur zu besonderen Anlässen, also zum Kirchgang, zu Festen oder bei Stadtbesuchen. Auf dem Gemälde kann man auch gut erkennen, dass Anton Hollinger zur Arbeit sehr viel praktischer bekleidet war: ein weißes Leinenhemd, Halstuch, eine solide Kniebundhose und barfuß, was letztlich auch zu seinem Unfall führte.
Die Madonna zu Tschenstochau
Der junge Mann betet zu einem Marienbild, das auf einer Wolke über dem Geschehen zu schweben scheint. Das Bild befindet sich heute noch in der Kahlhofkapelle bei Neuburg a.d. Donau befindet. Es handelt sich dabei um eine Kopie der Madonna von Tschenstochau in Polen, das Nationalheiligtum des Landes und ein überregionales Pilgerziel.
In dem Votivbild sieht die Madonna allerdings ganz anders aus als auf der Ikone in Polen. Der Künstler hat nicht die unbedeckte Ikone kopiert, sondern die mit prächtigen barocken Gewändern verhüllte Tafel, die nur die Köpfe von Maria und dem Jesuskind freiließ.
Wie kam die Madonna von Tschenstochau in die Kahlhof-Kapelle? 1642 heiratete in Warschau Anna Katharina Wasa, Prinzessin von Polen-Litauen und von Schweden (1619-1651) den Bayern Philipp Wilhelm, Herzog von Pfalz-Neuburg (1615-1690). Neben einer beachtlichen Mitgift brachte sie aus ihrem Heimatland eine Kopie der Madonna mit. Diese stellte man im Fürstenchor der Neuburger Hofkirche auf. Eine Kopie von diesem Gnadenbild wurde in der Kahlhof-Kapelle aufgehängt.
„Maria im Gnadenfeld“ wurde wegen des angeblich wundertätigen Marienbildes schnell zu einer viel besuchten Wallfahrtsstätte, wovon noch heute zahlreiche gestiftete Bilder zeugen. Auch die Familie Hollinger von der Aumühle pflegt seit vielen Generationen die Wallfahrt zu Kahlhofkapelle.
Das Ex Voto von 1812, gefunden auf Ebay, erworben durch unseren Verein.
Die Szenerie der schweren Verletzung beim Mähen mit der Sense
Anton Hollinger als Votant vor dem Gnadenbild der Thalhofkapelle
Das Abbild der Madonna von Tschenstochau in Polen
Alle Fotos: (c) Antiquitäten Greinwald, Schliersee mit Genehmigung von Wolfgang Greinwald
Wie ging es weiter mit Anton Hollinger?
Wenn man etwas über die hiesigen Bürger wissen möchte, muss man in die Kirchenbücher schauen, in denen die Pfarrer über Jahrhunderte gewissenhaft jedes Familienereignis notierten. Musste man bis vor wenigen Jahren dafür noch im Archiv sitzen, so reicht heute der Blick ins Internet, da alle Kirchenbücher online stehen. Dennoch ist es eine mühsame Arbeit, Seite für Seite die heute schwer leserliche Schrift zu durchforsten, bis man die gesuchte Person gefunden hat.
Für uns hat Michael Spreng aus Möckenlohe diese Recherche übernommen.
So wissen wir, dass Anton Hollinger 1790 in Nassenfels geboren wurde, er heiratete 1827 in Neuburg eine Anna Maria Müllerin und starb mit 59 Jahren ebenda. Offenbar ist er aus Nassenfels weggezogen, vermutlich war er ein nachgeborener Sohn und nicht der Erbe der Aumühle.
Die Inschrift
Disse Taffel hatt verlobt der Ehrbare Jung Gesöll Anton Hollinger Au Müller Sonn beij Nassenfels welcher die Schuter außgemeth und nach dissen gien er auf einer stang iber die Schuter und Schneidt im den Fuß nit ganz ab mit der Sänds. aber aus anrufung der Muetter Gottes von Kalhoff witter kurirt worden.
Transkription der Inschrift
Diese Tafel hat gestiftet der ehrbare Junggeselle Anton (oder Aaron??) Hollinger, Sohn des Aumüllers bei Nassenfels, welcher die Schutter gemäht und danach ging er auf einer Stange über die Schutter schneidet sich den Fuß nicht ganz ab mit der Sense. Aber nach Anrufung der Mutter Gottes von Kahlhof wurde er wieder genesen.
Die Geschichte hinter der Votivtafel
Der historische Wert des Votivbildes
Lange wurden die kleinen Votivbilder, die so zahlreich in den bekannten bayerischen Wallfahrtsorten hängen, als biedere „Volkskunst“ belächelt. Doch seit einiger Zeit hat man sie in der akademischen Forschung als wertvolle Bild- und Textquellen entdeckt, um das Leben der „normalen“ Bevölkerung zu untersuchen. Die Geschichtswissenschaft konzentriert sich nicht mehr auf das Leben des Adels, des Klerus und der Wohlhabenden, sondern schaut nun auch auf die breite Bevölkerung. Die Votivbilder sind dafür einzigartige Quellen, denn sie bieten das Wissen über Leben, Krankheiten, Kleidung, Lokalgeschichte, Landschaft, Kindheit, Inneneinrichtung und Architektur.
So kann man in dem Nassenfelser Votivbild die wohl älteste bildliche Darstellung der Aumühle und der noch natürlich fließenden Schutter finden. Kleidung und Standesdenken des Müllersohnes ist dokumentiert. Alles in allem ist das kleine Gemälde mit der Geschichte des Anton Hollingers eine unschätzbar wertvolle Ergänzung zu unserem Wissen über Landschaft und Bürger aus Nassenfels.
Zurück nach Hause
Der Verein für Heimatpflege im Schuttergäu konnte die Votivtafel erfolgreich an einen Nachfahren von Anton Hollinger vermitteln und freut sich darüber, dass die Tafel einen ehrbaren Platz in der Aumühle erhalten wird.
Hinweis in eigener Sache (um im Vorfeld Vermutungen und Spekulationen aus dem Weg zu räumen):
Das Antiquitätengeschäft in Schliersee hat uns gegenüber versichert, dass das Ex Voto aus einer hochwertigen Sammlung von Volkskunst und sakralen Objekten aus München stammt. Einen Teil dieser Sammlung konnte durch ANTIQUITÄTEN - Restaurierung A. Greinwald erworben werden. Auf welchen Weg das Ex Voto von der Kahlhofkapelle b. Neuburg in die Sammlung sakraler Objekte nach München gelangt ist, bleibt unbekannt.
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